Sonntag, 27. November 2011

Antwort Offener Brief zur Zukunft Zollpackhof Yorkstrasse im Moeckernkiez

Antwort auf den Offenen Brief von Jürgen Enkemann an Aino Simon
Berlin, im November 2011


Lieber Jürgen Enkemann,
mit Deinem ausführlich und wohlbegründeten Anliegen, den ehemaligen Zollschuppen zu erhalten und ihn in das Gesamtkonzept unseres Projekts einzubeziehen, rennst Du bei uns offene Türen ein.

Wie Du selbst bereits zum Ausdruck gebracht hast, bot mein Vortrag vom 19.09.2011 im Rathaus Kreuzberg, auf den Du dich beziehst, nicht den erforderlichen Rahmen, um neben der Darstellung der aktuellen Situation auch ausreichend auf den wichtigen Zusammenhang zwischen städtebaulicher Gestaltung und historischer Bedeutung bzw. Identifizierung einzugehen.

Schon unsere frühen Überlegungen - seit 2007 - sahen den Erhalt der alten Bausubstanz vor. Je mehr wir uns jedoch in den Planungsprozess hineinbegaben, wurden nach und nach die Probleme deutlich, die ein Erhalt mit sich bringen würde. Zunächst stellten wir fest, dass der bauliche Zustand des Gebäudes so schlecht ist, dass eine Überbauung bzw. Sanierung nur mit sehr hohem Aufwand möglich wäre. Gleichwohl haben wir mit Hilfe von Gutachten und Beratungen durch Architekten, Tragwerksplaner und Bauphysiker sehr gründlich ausgelotet, ob und in welcher Weise der Erhalt möglich sein könnte.

Als im Juli 2011 die Vorentwurfsplanung zusammen mit einer sehr detaillierten Kostenschätzung vorlag, wurde allen Beteiligten klar, dass ein Erhalt zu erheblichen Mehrkosten führen würde, die geeignet wären, jeden erdenklichen Kostenrahmen zu sprengen. Dies hätte bedeutet, zentrale Anliegen unseres Projektes (z.B. bezahlbarer Wohnraum) grundsätzlich in Frage zu stellen. Dazu kommt, dass auch eine energetische Sanierung – wie sie aus Umwelt- und Klimaschutzgründen notwendig ist – nur sehr eingeschränkt und zu erheblichen Kosten durchführbar wäre.
Da wir uns mit diesem Ergebnis nicht zufrieden geben konnten und wollten, haben wir den Planungsprozess Anfang August dieses Jahres teilweise unterbrochen, um noch einmal nach wirtschaftlich - und damit sozial - vertretbaren Alternativen zu suchen.
Dabei gingen wir von mehreren denkbaren Möglichkeiten aus, beginnend mit dem Gesamterhalt der Gebäudesubstanz (jedoch ohne eine Überbauung) über mehrere Varianten eines teilweisen Erhaltes bis hin zu einem vollständigen Neubau. Eine Entscheidung über diese Frage ist noch nicht getroffen, die Gespräche mit der Bezirksverwaltung dauern noch an.

Dein zentrales Anliegen, wie Du es am Beispiel des Anhalter Bahnhofes sehr treffend dargelegt hast, findet meine volle Zustimmung.
Aus diesem Grunde haben wir uns schon frühzeitig überlegt, wie wir den geschichtlichen Stellenwert des Gleisdreiecks angemessen in unserer Planung berücksichtigen können.
Als Ergebnis wollen wir die Yorckbrücken durch Freilegung der Flügelmauer und ihrer Einbindung als gestalterisches Element stärker zur Geltung bringen, wodurch sie als „Kreuzberger Tor“ städtebaulich betont und als historisches Denkmal wahrnehmbar wird.
Erhalten wollen wir außerdem das Reststück der ehemaligen Begrenzungsmauer des Gleisdreiecks sowie das kleine Mäuerchen entlang der Yorckstraße. Zusammen mit dem Kopfbau, ja sogar bei vollständiger Neubebauung, würde auf diese Weise wenigstens eine Andeutung der alten Baustruktur erkennbar bleiben.
Im Gegensatz dazu wird auf dem Baufeld der CA Immo (ehem. Vivico) entlang der Flottwellstraße die sehr gut erhaltene lange Gleisdreieckmauer ohne jede Diskussion vollständig beseitigt. Dies musste ich jüngst bei einer Vorstellung der Planungen für die Flottwellpromenade mit großer Enttäuschung zur Kenntnis nehmen.
Wie Du siehst, sind Deine Fragen und Sorgen gleichermaßen die unsrigen.
Die Lösung komplexer Aufgaben ist immer mit Zugeständnissen und Abstichen verbunden. Dies mag man bedauern. Liegt nicht aber in der Möglichkeit solcher Projekte auch die große Chance, die sozialen und ökologischen Herausforderungen der nahen Zukunft besser und in angemessenerer Weise bestehen zu können? Dazu gehört ohne Zweifel auch die Pflege des historischen Gedächtnisses.

Die Worte in Deinem Brief zeigen Dein großes Engagement für den Kiez und Deine Verbundenheit mit den Menschen rund um das Gleisdreieck!

Dafür danke ich Dir sehr!

Herzliche Grüße
Aino Simon

zum erwähnten Offenen Brief im Blog [hier]